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Wie viel Kommerz kann der Fußball sich leisten? Unter diesem Motto diskutierten am Freitagabend im Ballsaal auf der Südtribüne des Millerntor-Stadions die Podiumsgäste Simone Buchholz (Autorin), Dr. Thies Gundlach (Oberkirchenrat der Ev. Kirche), Thomas Schneider (Koordinator Fanangelegenheiten der DFL), Dr. Bernd-Georg Spies (Vizepräsident FC St. Pauli) und Dr. Götz Vollmann (Sprecher des Instituts für Fußball und Gesellschaft). Kommerz - ein negativ behaftetes Wort. Und genau deshalb, vor allem bei einem Verein wie dem FC St. Pauli, fehl am Platz, könnte man meinen, wird der Club mit seinen Anhängern doch auch gerne als "Freibeuter der Liga" bezeichnet und zumindest die Anhänger gelten generell als linkspolitisch eingestellte Personen, die Kommerz verabscheuen und sich idealistisch nach einer gerechteren und gleichen Welt sehnen. Darf der Kiezclub angesichts dieses Standings dann überhaupt bei so etwas wie Kommerz mitmachen? Dr. Vollmann vertritt eine ganz klare Meinung: "Geld schießt Tore", so war es schon immer und so wird es auch immer sein, denn der Verein, der das meiste Geld hat, hat es in der Hand sich die besten Spieler zu kaufen und damit die besten Voraussetzungen zu schaffen, eine erfolgreiche Saison zu spielen. Der Vizepräsident des Kiezclubs, Dr. Spies, hält dagegen, dass der FC St. Pauli in der letzten Saison einen Etat von 7 Mio. Euro hatte und damit den Aufstieg geschafft hat. Ihm beipflichtend erwähnt Thomas Schneider, dass ein Mario Gomez nicht so viele Tore geschossen hat, wie ein Marius Ebbers - also wird der Ausspruch hier widerlegt? Er heizt zumindest die Diskussion an. Darf denn ein Verein, der in einem der ärmsten Stadtteile Hamburgs angesiedelt ist überhaupt über so etwas wie Kommerz nachdenken? Dürfen 39 neue Logen auf der Haupttribüne gebaut werden, die dann steuerlich absetzbar von vermögenden Unternehmen gekauft werden? Dem setzt Dr. Vollmann ganz klar entgegen: kann sich ein Bundesligaerstligist leisten, nicht über solche Marketingsmaßnahmen nachzudenken? Denn Fakt sei, dass jeder Verein Geld braucht. Welche Maßnahmen ergriffen werden, um dieses in die Kassen zu spülen, das stehe auf einem anderen Blatt. Doch selbst Dr. Spies bleibt vorsichtig in seinem Formulierungen: "Es sei letztendlich eine gute Entscheidung gewesen, dass der Name des Stadions bislang nicht werbeträchtig verkauft werden durfte - bis dato. Was kommt, wird sich zeigen." Denn wer weiß schon, wie es in ein paar Jahren um den Verein steht? Auch der Millerntaler würde zunächst nicht kommen. Zunächst - auch hier ein Formulierung, die zeigt, dass nichts in Stein gemeißelt wurde, sondern immer aktuell über verschiedene Marketingkonzepte nachgedacht werden muss. Für Oberkirchenrat Dr. Thies Gundlach ist vor allem wichtig, dass die Vereine "trotz Kommerzialisierung anständig bleiben". Das Negative, das dem Wort Kommerz anhafte, solle nicht in den Vordergrund geschoben werden. Natürlich müsse auch ein FC St. Pauli schauen, wo er bleibe und manche Maßnahmen seien einfach unabdingbar. Viel wichtiger sei es allerdings, dass man beachte, was der FC St. Pauli auch als Vorbild für seinen Stadtteil tue. Hierzu gehören Nachbarschaftsprojekte in stadtteilansässigen Schulen, Förderung des Nachwuchses, eben soziales Engagement. Simone Buchholz sei es vor allem wichtig, dass der Verein "aus Gier nicht seine Seele verkaufe", aber da traue sie den Verantwortlichen weit genug um sich sicher zu sein, dass dies nicht geschehe. Dr. Spies gibt in diesem Zusammenhang einen Einblick in Interna bei der Einführung von neuen Spielern. Diesen würde zu Beginn eine Fibel mit der Vereins- und Stadtteilgeschichte in die Hand gegeben werden, so dass sich jeder einlesen könne, wo er denn spiele - in einem Verein eines sehr armen Stadtteils, dem man hilft, wo es geht. Auch wenn man keine soziale Einrichtung sei, beim FC St. Pauli tue man, was man kann. Und so solle sich bitte kein neuer Spieler über den zigsten Besuch einer Schule, eines Kindertagesheims oder ähnlichen Einrichtungen beschweren. Man könne stolz sein, bei so einem Traditionsverein spielen zu dürfen und dazu gehöre eben auch das Engagement, den Stadtteilnachbarn etwas zurückzugeben, denn immerhin kämen die meisten Fans auch aus der Umgebung und würden ihr Geld in Karten und Fan-Artikel investieren und damit nicht zuletzt in den Verein - also auch jeden einzelnen Spieler. Damit es so bleibe, dass sich weiterhin jeder den Zugang zu einem Spiel leisten könned, gibt es auch in der kommenden Saison in der Bundesliga die günstigsten Karten für 12,- €. Dies sei ein Zeichen, dass trotz Kommerz, positiv oder negativ, an die Fans gedacht werde. Ein interessanter Aspekt wird von Dr. Gundlach aufgegriffen: dass ein Discounter, der seine Preise nur durch menschenverachtende Produktionsbedingungen in Asien niedrig halten kann nicht als Hauptsponsor auf das Trikot kommt, ist dies nun ein Beispiel für oder gegen den Kommerz beim FC St. Pauli? Denn was würde in so einem Fall geschehen? Die Fans würden protestieren, das Trikot nicht kaufen, eventuell sogar Spielen aus Protest fernbleiben. Wem würde dies schaden? Letztendlich doch dem Verein. Also könne man diese Entscheidung nicht auch als Kommerz betrachten? Aus Angst finanzielle Einbußen hinnehmen zu müssen, entscheide man sich eben für einen Sponsor, der keine negativen Konnotationen beim Fan auslöst - und so wird auch brav wieder das Trikot der neuen Saison käuflich erworben. Die letzte Frage des Moderators Urs Willmann (Die Zeit), was jeder einzelne der Podiumsgäste mit 50 Millionen Euro machen würde, wurde folgendermaßen beantwortet: Thies Gundlach würde im Stadion eine Kapelle bauen, in der man zur Ruhe kommen könne, Frau Buchholz würde das Geld verschenken, da sie laut eigener Aussage "mit Geld nicht so gut umgehen könne", der Fankoordinator Schneider würde für ein barrierefreies Stadion sorgen und Götz Vollmann sowie Vizepräse Spies sind sich einig: ein Fest mit Freibier für die Fans müsste her. Konnte in dieser Diskussion, in die die Zuschauer nur in Form von schriftlich gestellter Fragen auf Zettelchen einbezogen wurden, die Frage nach dem Maß des Kommerz im Fußball geklärt werden? War dies überhaupt der Anspruch dieser Runde? Zumindest wurde einige interessante Aspekte beleuchtet und es wurde gezeigt, dass auch der FC St. Pauli wirtschaftlich denken muss um weiter bestehen zu können. Und am Ende bleibt: nicht Geld, sonder die "Boys in brown" schießen die Tore - und davon in der neuen Bundesligasaison hoffentlich eine Menge. |